RelationShip

Kieler Nachrichten 13. Juni 1998: Seite: 1 / 1

Geisterschiff ahoi!

Von Claude Walther

Früher bedeutete ein Auftrag an eine von der Konjunktur gebeutelte Werft der strukturschwachen Küste Arbeitsplätze. Jetzt in der Jadewerft von Wilhelmshaven ein Schiff, das das Gegenteil bewirken könnte.

In der Werfthalle wirkt das 11 mal 9,5 Meter messende Segelboot mit seinen drei Rümpfen ein wenig verloren - normalerweise finden hier Fregatten der Bundesmarine mühelos Platz. "Willkommen an Bord der RelationShip", sagt Online-Spezialist Anton Illik. Dann zwängt er sich durch die enge Luke ins Bootsinnere.

Letzteres mag für den längeren Aufenthalt nicht so recht geeignet erscheinen: Fünf Computer, Kontrollmonitore, Kabelbäume und Kameras verringern hier das Raumangebot. Kojen, Kombüse, wetterfester Ausguck sind überflüssig: Zwar werden Zehntausende "mitsurfen", wenn die 2,2 Tonnen Zedernholz, Epoxydharz, Fiberglas und Kohlefasern zu ihrer 30.000-Meilen-Fahrt starten und die Reise durch die sieben Weltmeere "live" verfolgen. Aber nasse Füße werden sie dabei nicht bekommen.

Der Trimaran ist das erste Schiff, das ferngesteuert per Satellit- und Wettersystem, wie es die Berufsschiffahrt verwendet, sowie per Navigationssystem die Welt umrunden soll. Wer virtuell dabei sein möchte, kann sich ins WWW einklicken, per Kamera und fortlaufend eingespeicherter Bildsequenzen die Umgebung des Trimarans sowie auf einer Karte die Route und die nächsten Schiffsmanöver beobachten.

Tatsächlich stellt das Vorhaben, das an Pioniertaten wie die erste Atlantiküberquerung oder Picards Weltumsegelung erinnert, eine Premiere dar. Nicht von einem küstennahen Kontrollzentrum, sondern von zwei mitten im Schwarzwald eingerichteten Leitständen in Furtwangen und Villingen-Schwenningen aus wird die Weltumrundung des Segelschiffes dirigiert. Den Kurs im Detail legt ein Bordrechner fest, dem lediglich die Zielkoordinaten vorgegeben werden. Über eine

___ Hydraulik werden die Grundfunktionen "Segel setzen", "Segel bergen" und "Mastbaum drehen" abgedeckt, eine ausgefeilte Rudersteuerung koordiniert Manöver wie Wende, Halse, Beidrehen, Aufschießen und Ausweichen.

Hinter der RelationShip steht eine Mannschaft von rund 200 Studierenden und einem Dutzend Professoren. "Wir werden vom Leitstand aus nicht in jedes kleine Manöver eingreifen", sagt Illik. Die Verzögerung der Steuersignale durch den Weg, den die Kommandos über Satellit nehmen müssen, scheint verschmerzbar. "Schließlich", so Illik, "wollen wir keine Regatta fahren". Droht das Geisterschiff auf Kollisionskurs mit anderen schwimmenden Objekten verwickelt zu werden, sind via Radar und Video automatische Ausweichmanöver programmiert.

Mit einer Begleitmannschaft wird die RelationShip jetzt zur Expo nach Lissabon starten, um dort den deutschen Ausstellungsbereich zu bereichern, im August soll der eigentliche Start von den Kanarischen Inseln aus erfolgen. Weil unbemannt, gilt der Trimaran nach internationalem Seerecht zunächst als "Treibgut" und wäre somit jeglicher Piraterie ausgeliefert. Deshalb wird der Zugang zum Schiffsinnern durch ein spezielles Erkennungssystem gesichert. Um ganz sicherzugehen, wird eine Mannschaft an den Zielpunkten vor Kapstadt, Fremantle (Australien), Auckland (Neuseeland), Punta Arenas (Chile), Rio de Janeiro (Brasilien), New York (USA), Shannon (Irland) und Wilhelmshaven (Expo 2000) das Boot jeweils innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone "abholen" und sicher in den Hafen bugsieren.

Fehlen eigentlich nur noch Franz Beckenbauer und Claudia Schiffer, um mit Schmollmund und dem bekannten "Schau 'mer mal" für das Vorzeigeprojekt zu werben. Doch von beiden, heißt es, kam eine Absage. Außenminister Klaus Kinkel hingegen war begeistert, als er die schwimmende Botschaft kürzlich in Augenschein nahm. Wenn alles glattgeht, hat das diplomatische Personal in Kapstadt, Rio und New York demnächst Gelegenheit "Schiff ahoi!" zu sagen.

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