RelationShip

Yacht Nr. 14, 02. Juni 1997:  

Virtuell um die Erde 

Ein Trimaran geht auf Weltreise, ferngesteuert aus der Fachhochschule Furtwangen. Niemand ist an Bord, aber im Internet sind Sie live dabei.

 
„Irgendwann müssen wir an Bord gar nichts mehr tun. Dann können wir auch zu Hause sitzen und das Schiff fernsteuern. Na ja, wenigstens werden wir nicht mehr naß und sparen das Geld für Ölzeug." Das, was spöttelnde Traditionalisten schon vor Jahren ob der rasanten Entwicklung der technischen Einrichtungen wie Elektrowinschen, Autopiloten, GPS und Kommunikationselektronik bemerken, wird jetzt wahr. 
   Ein 11,30 langer und 9,50 breiter Trimaran soll im nächsten Jahr um die Welt segeln - ferngesteuert und überwacht aus einem Computerraum der Furtwanger Fachhochschule im Schwarzwald. An Bord ist niemand, aber Hunderttausende können dabeisein - per Internet. Professor Reiner Schmid, Initiator, Segler und Fachmann für Informationssysteme, nennt das Schiff „einen High-Tech-Segler, der als reales Element live in der rauhen Wirklichkeit der Ozeane segelt, weltweit und jederzeit zugänglich ist durch die virtuelle Internet-Welt". 
   Cyber-Sex für Wassersportler? Was für einen gestandenen Segler zunächst fast unsinnig klingt, könnte sich als genial erweisen. Das Vorhaben bietet einen Sack voller Chancen. Der Koordinator, Professor Rolf Katzsch: „Wir sehen es als Herausforderung, neue Maßstäbe bei Internationaler Zusammenarbeit, technischen Leistungen und persönlichem Erfahrungsaustausch zu setzen." 
   Tatsächlich gibt es jede Menge technologischer Probleme zu lösen und Anforderungen zu erfüllen. Schließlich sollen die Rechner und Operatoren im Schwarzwald navigieren, das Schiff steuern, Segel setzen, bergen, reffen und trimmen. Dazu muß eine absolut sichere Datenübertragung zum und vom Schiff gewährleistet sein. Ausfälle und Schäden an Bord können sich die Trockensegler nicht leisten. In Situationen wo sonst an Bord nur Werkzeugkasten oder Not-Laminierset helfen, ist der fliegende Holländer aus Furtwangen aufgeschmissen. Die Motivation der Hochschulmitarbeiter hat weitere Ursprünge. „Ein großer Betrieb wie die FH Furtwangen mit 2200 Studenten und 130 Professoren braucht etwas, das zusammenschweißt, wo jeder mitmacht und seine Interessen und Fähigkeiten einbringt", erklärt Professor Schmid. Und: „Wir wollen die Ausbildung auf hohem Niveau halten ... Eine effiziente Hochschulausbildung hat schon lange nichts mehr mit Massenvorlesungen zu tun. Sie spielt sich als Prozeß gemeinsamen Lernens von Industriepartnern, Professoren und Studenten ab." Beispielsweise testeten Diplomanden neue Produkte der Rechner- und Softwarehersteller im Industriellen Alltagsbetrieb auf ihren praktischen Nutzwert. Das Konzept hat Erfolg. Laut einer Expertenbefragung der Hamburger Beratungsgesellschaft Westerwelle & Partner und der Fachzeitschrift „Computerwoche" hat die Fachhochschule Furtwangen eine der fünf besten Informatik-Fakultäten im deutschsprachigen Raum. 
   Aus einer Schrift zum Segelprojekt: „Gemeinsames Lernen braucht Objekte, Identifikatoren, emotionale Bindung: Gemeinsames Lernen braucht Visionen." Die gemeinsame Vision heißt 
Relation-Ship - was für den Kommunikationsgedanken und die fachübergreifende Struktur des ungewöhnlichen Vorhabens steht. Es begann mit dem Arbeitstitel Real Reality. Denn der unbemannte Segler wird mit zwei Videokameras und Datensendern ausgestattet, die das Segeln um die Welt über den heimischen PC in Büro und Wohnzimmer bringen. 
   Man stelle sich das mal vor: Sie wissen aus dem Wetterbericht, den Sie per Internet für das aktuelle Seegebiet des Tris empfangen haben, daß Sturm bevorsteht. Mit  
 
 
___  wohligem Schauder setzen Sie sich an ihren Rechner und sehen zu, wie sich das Schiff durch die See arbeitet, die Wellenhöhe zunimmt, die Hydraulik das Großsegel einrollt und die Fock wegdreht. Die Geschwindigkeit nimmt dennoch zu. 15,16,17 Knoten; der Leeschwimmer neigt zum Unterschneiden. Da! der Operator aus dem Schwarzwald korrigiert den Kurs und läßt das Schiff etwas höher zum Wind segeln , raus aus dem Tief. Es kommt vom Idealkurs ab, was ihnen per Mausklick die Routenkarte zeigt. 
   Nun gibt es bei diesem Projekt natürlich viele Unwägbarkeiten. Was sagt die Welt-Schiffahrtsbehörde International Maritime Organization (IMO) dazu, die permanenten Ausguck fordert? Genügt ein elektronischer Beobachter per Videokamera? Wie können sich die Schwarzwälder vor Piraterie schützen? Was passiert im Falle von Mastbruch oder Kenterung? Professor Schmid: „Es wäre falsch, sich schon jetzt verunsichern zu lassen und am Projekt zu zweifeln". Wohl wahr. Und wer finanziert das Vorhaben? Immerhin gilt es, ein technisch anspruchsvolles Schiff zu bauen, mit komplizierter Ausrüstung zu bestücken und dann mit einem riesigen Aufwand über eine Dauerverbindung weltweit zu betreiben.  
   Auch in diesem Punkt sind die Furtwanger pfiffig-kreativ. Es wird einen Internet-Shop geben, Modelle des Tris werden verkauft, und selbstverständlich umwirbt man Sponsoren, die sich auf dem Schiff darstellen oder mit ihrem Engagement werben können. In der Tat dürfte das Projekt eher für Fach- denn für Markenartikler interessant sein. Denn erstere könnten über Sach- und Fachleistungen ihr technologisches Know-how demonstrieren. Beispielsweise ein Mastenbauer und ein Segelmacher, die wartungsfreie Produkte liefern - denn wer soll die unterwegs kontrollieren und reparieren? Und natürlich Zulieferer aus der Elektronikbranche, Hersteller von Selbststeueranlagen (liefert C. Plath) und, last but not least, Telekommunikationskonzerne. Denn sonst werden für die Furtwangener hohe Kosten für die Standleitungen zum Schiff fällig.  
   Die erste finanzielle Grundlage ist neben von 30 Professoren spontan gekauften Anteilsscheinen à 100 Mark ein Startkapital von 29 000 Mark von der Fördergesellschaft der FH. Mittlerweile konnte man den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Erwin Teufel, als Schirmherrn gewinnen und somit zusätzlich Seriosität dokumentieren. 
   Als Konstrukteur ist der Amerikaner Dick Newick im Topf. Dessen Pläne werden derzeit auf dem Campus in Zedernholz, Glas- und Kohlefaser sowie Epoxidharz umgesetzt. Im Dezember soll der Tri per Hubschrauber aus dem Schwarzwald ausgeflogen werden. Die Jungfernfahrt steht auf dem Rhein an. Nächste Station ist die Düsseldorfer Bootsausstellung Ende Januar 1998. Es folgt eine bemannte Fahrt nach Lissabon, die bereits ferngesteuert und online beobachtet wird. Dort sollen Schiff und Vorhaben zum Star der Expo im Mai avancieren. Der Start zum virtuellen Abenteuer ist für den Juni geplant: Kurs Süd und rundum mit Zwischenstopps zum Kontrollieren und Promoten in Südafrika, Tasmanien, Chile, Argentinien, Brasilien und den USA. Im September 1999 erwarte man den Tri wieder in Europa zurück. 
   Während der Reise ließe sich das Ganze in puncto Marketing sogar noch weiterdrehen: Vielleicht verlost oder verkauft die Hochschule ja Segelstunden. Sie erhalten einen Zuganscode, loggen sich über ihren Rechner ins System der FH ein und bedienen das Schiff per Maus und Tastatur. Sie segeln beispielsweise mitten im Südpolarmeer und surfen die Wellen hinunter. Sie tragen tatsächlich kein Ölzeug, und dennoch werden Sie bestimmt naß - vom Schweiß. 
   RelationShip ist eine Bereicherung, weil Erweiterung des Themas Segeln. Freuen wir uns darüber. Und auch, daß Internet-Segeln nicht die tatsächliche Wirklichkeit ersetzen wird. 
B. N. Damm/F. Gunkel 
 
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