Irgendwann müssen wir an Bord gar nichts
mehr tun. Dann können wir auch zu Hause sitzen und das Schiff fernsteuern.
Na ja, wenigstens werden wir nicht mehr naß und sparen das Geld für
Ölzeug." Das, was spöttelnde Traditionalisten schon vor Jahren
ob der rasanten Entwicklung der technischen Einrichtungen wie Elektrowinschen,
Autopiloten, GPS und Kommunikationselektronik bemerken, wird jetzt wahr.
Ein 11,30 langer und 9,50 breiter Trimaran
soll im nächsten Jahr um die Welt segeln - ferngesteuert und überwacht
aus einem Computerraum der Furtwanger Fachhochschule im Schwarzwald. An
Bord ist niemand, aber Hunderttausende können dabeisein - per Internet.
Professor Reiner Schmid, Initiator, Segler und Fachmann für Informationssysteme,
nennt das Schiff einen High-Tech-Segler, der als reales Element live in
der rauhen Wirklichkeit der Ozeane segelt, weltweit und jederzeit zugänglich
ist durch die virtuelle Internet-Welt".
Cyber-Sex für Wassersportler? Was für
einen gestandenen Segler zunächst fast unsinnig klingt, könnte
sich als genial erweisen. Das Vorhaben bietet einen Sack voller Chancen.
Der Koordinator, Professor Rolf Katzsch: Wir sehen es als Herausforderung,
neue Maßstäbe bei Internationaler Zusammenarbeit, technischen
Leistungen und persönlichem Erfahrungsaustausch zu setzen."
Tatsächlich gibt es jede Menge technologischer
Probleme zu lösen und Anforderungen zu erfüllen. Schließlich
sollen die Rechner und Operatoren im Schwarzwald navigieren, das Schiff
steuern, Segel setzen, bergen, reffen und trimmen. Dazu muß eine
absolut sichere Datenübertragung zum und vom Schiff gewährleistet
sein. Ausfälle und Schäden an Bord können sich die Trockensegler
nicht leisten. In Situationen wo sonst an Bord nur Werkzeugkasten oder
Not-Laminierset helfen, ist der fliegende Holländer aus Furtwangen
aufgeschmissen. Die Motivation der Hochschulmitarbeiter hat weitere Ursprünge.
Ein großer Betrieb wie die FH Furtwangen mit 2200 Studenten und
130 Professoren braucht etwas, das zusammenschweißt, wo jeder mitmacht
und seine Interessen und Fähigkeiten einbringt", erklärt Professor
Schmid. Und: Wir wollen die Ausbildung auf hohem Niveau halten ... Eine
effiziente Hochschulausbildung hat schon lange nichts mehr mit Massenvorlesungen
zu tun. Sie spielt sich als Prozeß gemeinsamen Lernens von Industriepartnern,
Professoren und Studenten ab." Beispielsweise testeten Diplomanden neue
Produkte der Rechner- und Softwarehersteller im Industriellen Alltagsbetrieb
auf ihren praktischen Nutzwert. Das Konzept hat Erfolg. Laut einer Expertenbefragung
der Hamburger Beratungsgesellschaft Westerwelle & Partner und der Fachzeitschrift
Computerwoche" hat die Fachhochschule Furtwangen eine der fünf besten
Informatik-Fakultäten im deutschsprachigen Raum.
Aus einer Schrift zum Segelprojekt: Gemeinsames
Lernen braucht Objekte, Identifikatoren, emotionale Bindung: Gemeinsames
Lernen braucht Visionen." Die gemeinsame Vision heißt
Relation-Ship - was für den Kommunikationsgedanken
und die fachübergreifende Struktur des ungewöhnlichen Vorhabens
steht. Es begann mit dem Arbeitstitel Real Reality. Denn der unbemannte
Segler wird mit zwei Videokameras und Datensendern ausgestattet, die das
Segeln um die Welt über den heimischen PC in Büro und Wohnzimmer
bringen.
Man stelle sich das mal vor: Sie wissen
aus dem Wetterbericht, den Sie per Internet für das aktuelle Seegebiet
des Tris empfangen haben, daß Sturm bevorsteht. Mit
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wohligem Schauder setzen Sie sich an ihren
Rechner und sehen zu, wie sich das Schiff durch die See arbeitet, die Wellenhöhe
zunimmt, die Hydraulik das Großsegel einrollt und die Fock wegdreht.
Die Geschwindigkeit nimmt dennoch zu. 15,16,17 Knoten; der Leeschwimmer
neigt zum Unterschneiden. Da! der Operator aus dem Schwarzwald korrigiert
den Kurs und läßt das Schiff etwas höher zum Wind segeln
, raus aus dem Tief. Es kommt vom Idealkurs ab, was ihnen per Mausklick
die Routenkarte zeigt.
Nun gibt es bei diesem Projekt natürlich
viele Unwägbarkeiten. Was sagt die Welt-Schiffahrtsbehörde International
Maritime Organization (IMO) dazu, die permanenten Ausguck fordert? Genügt
ein elektronischer Beobachter per Videokamera? Wie können sich die
Schwarzwälder vor Piraterie schützen? Was passiert im Falle von
Mastbruch oder Kenterung? Professor Schmid: Es wäre falsch, sich
schon jetzt verunsichern zu lassen und am Projekt zu zweifeln". Wohl wahr.
Und wer finanziert das Vorhaben? Immerhin gilt es, ein technisch anspruchsvolles
Schiff zu bauen, mit komplizierter Ausrüstung zu bestücken und
dann mit einem riesigen Aufwand über eine Dauerverbindung weltweit
zu betreiben.
Auch in diesem Punkt sind die Furtwanger
pfiffig-kreativ. Es wird einen Internet-Shop geben, Modelle des Tris werden
verkauft, und selbstverständlich umwirbt man Sponsoren, die sich auf
dem Schiff darstellen oder mit ihrem Engagement werben können. In
der Tat dürfte das Projekt eher für Fach- denn für Markenartikler
interessant sein. Denn erstere könnten über Sach- und Fachleistungen
ihr technologisches Know-how demonstrieren. Beispielsweise ein Mastenbauer
und ein Segelmacher, die wartungsfreie Produkte liefern - denn wer soll
die unterwegs kontrollieren und reparieren? Und natürlich Zulieferer
aus der Elektronikbranche, Hersteller von Selbststeueranlagen (liefert
C. Plath) und, last but not least, Telekommunikationskonzerne. Denn sonst
werden für die Furtwangener hohe Kosten für die Standleitungen
zum Schiff fällig.
Die erste finanzielle Grundlage ist neben
von 30 Professoren spontan gekauften Anteilsscheinen à 100 Mark
ein Startkapital von 29 000 Mark von der Fördergesellschaft der FH.
Mittlerweile konnte man den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg,
Erwin Teufel, als Schirmherrn gewinnen und somit zusätzlich Seriosität
dokumentieren.
Als Konstrukteur ist der Amerikaner Dick
Newick im Topf. Dessen Pläne werden derzeit auf dem Campus in Zedernholz,
Glas- und Kohlefaser sowie Epoxidharz umgesetzt. Im Dezember soll der Tri
per Hubschrauber aus dem Schwarzwald ausgeflogen werden. Die Jungfernfahrt
steht auf dem Rhein an. Nächste Station ist die Düsseldorfer
Bootsausstellung Ende Januar 1998. Es folgt eine bemannte Fahrt nach Lissabon,
die bereits ferngesteuert und online beobachtet wird. Dort sollen Schiff
und Vorhaben zum Star der Expo im Mai avancieren. Der Start zum virtuellen
Abenteuer ist für den Juni geplant: Kurs Süd und rundum mit Zwischenstopps
zum Kontrollieren und Promoten in Südafrika, Tasmanien, Chile, Argentinien,
Brasilien und den USA. Im September 1999 erwarte man den Tri wieder in
Europa zurück.
Während der Reise ließe sich
das Ganze in puncto Marketing sogar noch weiterdrehen: Vielleicht verlost
oder verkauft die Hochschule ja Segelstunden. Sie erhalten einen Zuganscode,
loggen sich über ihren Rechner ins System der FH ein und bedienen
das Schiff per Maus und Tastatur. Sie segeln beispielsweise mitten im Südpolarmeer
und surfen die Wellen hinunter. Sie tragen tatsächlich kein Ölzeug,
und dennoch werden Sie bestimmt naß - vom Schweiß.
RelationShip ist eine Bereicherung, weil
Erweiterung des Themas Segeln. Freuen wir uns darüber. Und auch, daß
Internet-Segeln nicht die tatsächliche Wirklichkeit ersetzen wird.
B. N. Damm/F. Gunkel
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